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Risikofaktor 1: zählendes Rechnen
- Kinder sollen mit den Fingern rechnen dürfen. Jedoch ist darauf zu achten, dass sie die Finger nicht nacheinander hochklappen. Dies ist ein Hinweis auf zählendes Rechnen. Die Finger sollen als Menge verstanden und gebraucht werden.
- Wenn die Ergebnisse der Rechnungen um 1 falsch sind, kann dies auf zählendes Rechnen hindeuten.
- Ein Verbot der Finger bewirkt, dass die Kinder im Kopf zählen. Dies ist schwieriger und fehleranfälliger. Dafür benötigen die Kinder sehr viel Gedächtnissspeicher und ermüden sehr schnell.
- Rechenschwache Kinder überlegen sich sehr viel. Deshalb stimmen die Formulierungen „Flüchtigkeitsfehler“ oder „unkonzentriertes Arbeiten“ nicht.
- Das Nachfragen und Beobachten, wie ein Kind rechnet, ist unerlässlich. Nur so findet eine Lehrkraft heraus, ob das Kind zählend oder mit dem Mengenbild rechnet.*
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Risikofaktor 2: Das Mengenbild wird nicht fürs Rechnen umgesetzt
- Kinder lernen in der 1. Klasse die Mengenbilder bis 10 und bis 20 kennen.
- Rechenschwache Kinder nutzen diese Bilder aber nicht fürs Rechnen. Sie fühlen sich mit Zählen sicherer.
- Wenn Kinder zählend wenig Fehler machen, werden sie mit guten Noten belohnt. Sie fühlen sich darin bestärkt, weiter zählend Rechnungen zu lösen. Der Weg übers Mengenbild erscheint ihnen mühsam.
- Spätestens in der 2./3. Klasse zeigen sich Schwierigkeiten. Ohne gesicherte Bilder kann ein Kind den immer grösseren Zahlenraum nicht bewältigen.
- Durch das viele Zählen hat das Kind auch das Zehnersystem unserer Zahlenwelt nicht durchschaut und gerät im Millionenraum ins Hintertreffen.
- Es ist kaum möglich, dass das Kind in dieser Situation den Weg zum Rechnen mit dem Mengenbild noch selber findet.
- Nachhilfe bringt nichts, da in solchen Lektionen der aktuelle Stoff erklärt wird. Die Grundrechnungen werden als gegeben betrachtet.
- Nur mit einem gründlichen Neuaufbau der Grundrechnungen ist eine Besserung möglich.
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Risikofaktor 3: Der Rechenaufbau ist lückenhaft
Der Rechenaufbau entspricht dem Aufbau eines Hauses (nach Aebli) vom Fundament zum 4. Stock:
4. Stock: Automatisation: Arbeitsspeicher wird entlastet, „schnelles Kopfrechnen“ 3. Stock: Abstraktion: Begriffenes in Zahlen und Zeichen (+,-, =,...) umsetzen 2. Stock: Zeichnen: Material auf Papier und in Sprache umsetzen 1. Stock: Begreifen: rechnen mit Material: Batzen, Stäbe, auch Bewegung. Alles versprachlichen. Fundament: Weltwissen, Erfahrungen, die ein Kind im Vorschulalter und später sammelt Kein Stockwerk im Rechenhaus darf ausgelassen oder zu früh verlassen werden.
- Vor allem im ersten Stockwerk „Begreifen“ wird oftmals zu wenig lange verweilt. Die Kinder dürfen hier nicht zählend arbeiten.
- Wenn ein Kind jedoch zu lange im ersten Stock bleibt, kann es sich mit der Zeit nicht mehr vom Material lösen. (Fachbegriff: Konkretismus)
- Das Stockwerk „Zeichnen“ muss selber erfahren werden. Vorgezeichnete Arbeitsblätter ersetzen dieses Stockwerk nicht. Kann ein Kind nicht selber eine Rechnung aufzeichnen, hat es diese nicht verstanden.
- Das Stockwerk „Abstraktion“ bedeutet, dass ein Kind z. B. hinter den Ziffern 36 die Menge 30 und 6 sieht. Es versteht, dass mit dem Zeichen minus (-) etwas entfernt, versteckt oder weggenommen wird. Es kann die Bilder und das Vorgehen in seiner Vorstellung nachvollziehen und sprachlich umsetzen.
- Das Stockwerk „Automatisation“ heisst intensives Trainieren der (Grund-)Rechnungen. Dieses Stockwerk darf keinesfalls ausgelassen werden. Kann ein Kind die Grundrechnungen bis 10 nicht innerhalb von je 1 Sekunde lösen, ist das ein Zeichen, dass die Automatisation nicht erfolgt ist.
- Kinder gewöhnen sich in unserem Schulsystem daran, sich untereinander zu vergleichen. Wenn „Zugpferde-SchülerInnen“ kein Material mehr brauchen, möchten andere auch darauf verzichten. Sie wählen dann das zählende Rechnen.
- Achtung: Es gibt viele Kinder, die bereits bei Schuleintritt mehrere Stockwerke des Rechenhauses aus Eigeninteresse erfahren haben. Ddie Lehrkraft darf sich nicht ausschliesslich an diesen orientieren. Ein zu schnelles Tempo führt bei Risikokindern zu zählendem Rechnen.
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Risikofaktor 4: Anweisungen nicht verstehen / deutsche Zahlensprechweise
Mathematik basiert auf unserer Sprache.
- Ausdrücke wie wenig → weniger, viel → mehr, plus (und), minus (weg), verteilen, ... sind Grundbegriffe fürs Rechnen.
- Ein Kopfnicken des Kindes heisst noch lange nicht, dass z. B. der Begriff „mehr“ klar ist.
- Fehlt einem Kind die Grunderfahrung hierfür, kann es den Begriff nicht verinnerlichen. Es kann die Rechenaufforderung nicht ausführen.
- Die deutsche Zahlensprechweise ist äusserst kompliziert: zwölf/zwanzig, vierzehn/vierzig, .. unterscheiden sich zum Teil nur von der Endsilbe her. Die Zahlen elf, zwölf bedeuten einzehn bzw. zweizehn. Hier kann es bei vielen Kindern zu grossen Unsicherheiten kommen.
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Risikofaktor 5: Tipps und Tricks
Mathematik basiert auf unserer Sprache.
- Tipps helfen einem Kind für einen kurzen Moment weiter.
- "Rechne statt 2 + 6 einfach 6 + 2" (Verwendung des Kommutativgesetzes)
- Derselbe Trick beim Wegrechnen: 12-6=14 -> Das Kind vertauscht mechanisch die Einer 16 - 2 = 14, was beim Minus nicht erlaubt ist.
- Die deutsche Zahlensprechweise ist äusserst kompliziert: zwölf/zwanzig, vierzehn/vierzig, .. unterscheiden sich zum Teil nur von der Endsilbe her. Die Zahlen elf, zwölf bedeuten einzehn bzw. zweizehn. Hier kann es bei vielen Kindern zu grossen Unsicherheiten kommen.
Keine Tricks oder Tipps weitergeben!
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Risikofaktor 6: Angst, Unsicherheit
- Unsichere Kinder neigen eher zu zählendem Rechnen.
- Sie spüren hier mehr Sicherheit, da sie sich am Abzählvers und ev. den Fingern „halten“ können.
- Sie wagen sich nicht auf einen anderen, bildhaften Rechenweg.
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Risikofaktor 7: Eltern helfen
- Oftmals zeigen sich Probleme im Rechnen zuerst zu Hause.
- Wenn Eltern ab und zu bei den Hausaufgaben mitmachen müssen, ist das in Ordnung.
- Übernehmen sie immer mehr Lehrfunktionen, kann das ein Hinweis auf Rechenschwäche sein.
- Erzählen Eltern bei Gesprächen, dass sie besonders im Rechnen oft helfen müssen, ist das ernst zu nehmen.
- Keinesfalls dürfen die Eltern vertröstet werden: „Der Knopf löst sich schon noch.“
- Die Kinder üben so noch länger das zählende Rechnen.